Vilseck: 2. Weltkrieg – Terrorjahr 1944/45 - Zeitzeuge Karl Platzer erzählt

Geschrieben von rha am .

Auch 80 Jahre nach Kriegsende hat der 92-jährige Vilsecker Karl Platzer die Ereignisse von damals noch deutlich vor Augen. Aber lassen wir ihn selbst darüber berichten!

Karl Platzer spricht über die letzten Kriegsjahre: „Dazu muss ich ein bisschen ausholen. Meine Familie musste Ende 1938 ihre alte Heimat im jetzigen Truppenübungsplatz verlassen. Wir wohnten im Dorf Langenbruck und fanden auf der Station Langenbruck in einem Bahnwärterhäuschen ein neues Zuhause. Für uns sieben Kinder war das weiter nicht schlimm, wir waren unbekümmert bis zum Terrorjahr 1944/45. Da bekamen auch wir die Schrecken des Krieges zu spüren.

Bei der Bahnstation Langenbruck mussten 1943 französische Gefangene ein Stichgleis bauen zur Stationierung eines Eisenbahngeschützes. Auch waren dort oft Flugzeugteile der Firma Messerschmitt unter großen Planen zwischengelagert. Die Messerschmitt-Werke befanden sich nämlich in Heringnohe. Sie waren für unsere Feinde von großer Bedeutung und ein strategisch wichtiges Angriffsziel.

Dazu waren bei Langenbruck auch zwei Schießstände zur Ausbildung von Scharfschützen vorhanden. Gefangene Franzosen und später Russen, die im Südlager untergebracht waren, mussten dort unter Aufsicht die Instandsetzung, das Scheibenaufstellen und Rasenmähen verrichten. Da sind wir Kinder oft herumgestreunt und haben ihnen auch mal Schwammerln, Rüben oder Kartoffeln zukommen lassen. Dafür halfen sie uns beim Holzheimbringen. Unsere Mutter hat ihnen Eier gekocht und Erdäpfel gegeben.“

Karl berichtet weiter: „Die deutschen Soldaten haben mit schwerem Kaliber im Truppenübungsplatz geschossen zum Leidwesen auch der Bewohner unseres Nachbarhauses, der Familie Lehner. 1944 spitzte sich der Krieg immer mehr zu. Oft kamen dreimal in der Woche die sogenannten Tiefflieger.

Die Amis schossen wöi die Blöidn mit ihren Jagdbombern ohne Vorwarnung auf die Eisenbahnwaggons, dass es nur so gekracht hat. Auch mitten in der Nacht kamen sie und jagten uns großen Schrecken ein. Wir konnten ja auch nicht vorgewarnt werden, da wir damals noch keinen Strom hatten. Auch Lebensmittel waren sehr knapp.

Vor den Tieffliegern, die meist wie aus dem Nichts auftauchten, mussten wir Langenbrucker Kinder uns auch oft auf dem Schulweg in Sicherheit bringen

Wir hatten ja täglich fünf Kilometer zu Fuß zur Schule nach Vilseck zu gehen und nachmittags wieder nach Hause, und das zu jeder Jahreszeit. Sobald ein gewisses Brummen in der Luft lag, warfen wir uns schnell in den Straßengraben. Das kam manchmal öfter hintereinander vor. Unsere Eltern waren da stets in großer Sorge, bis wir endlich daheim waren.
Einmal schossen sie auch in unserer Nähe an der Bahn entlang mit scharfer Munition.

Eine Bombe landete damals versehentlich im nahegelegenen Weiher. Viele Fische waren tot. Da paddelte ich in einem Waschtrog ins Wasser und fischte die toten Hechte, Karpfen und Schleien heraus. Da gab es bei uns zur Freude aller ein kostenloses Fischessen.

Das Terrorjahr fand seinen Höhepunkt am Weißen Sonntag 1945

Das Südlager wurde bombardiert. Mein Bruder Christian hatte an diesem Tag seine Erstkommunion. Und als wir von der Kirche heimkamen, hörten wir es schon brummen und krachen und sahen Rauchwolken aufsteigen. Die Amerikaner warfen hunderte von Bomben ins Lager hinein. Auch die Altstadt von Grafenwöhr wurde getroffen. Die Erstkommunion wurde leider zur Nebensache.

Im April 1945 rückten die Amis auch dem Bahnhof Langenbruck immer näher

Sie wollten mit ihren Jeeps durch die Frankenohe fahren. Doch dies misslang. Zwischen Bergkirchl und Triebweg kam es dann zu Schießereien mit der Wehrmacht. Aus dem Wald aus Richtung Lohhof wurde mit Maschinengewehren geschossen. Später fand man in den Straßengräben viele Messingkartuschen.

Von 1945 – 1946 war das Südlager weitgehend leer

Die Amis biwakierten in dieser Zeit in einem großen Zeltlager bei Hellziechen.

Das Südlager war nun ein Refugium der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration), einer Hilfsorganisation der Vereinten Nationen für notleidende Opfer in den von den Alliierten befreiten Gebieten. Es war ein Sammellager zur Rückführung von Gefangenen, sowie von ausländischen und jüdischen Bürgern.“

Weiter berichtet der passionierte Hobby-Archäologe

„Langsam ging für meine Familie der Alptraum des Krieges zu Ende. Erst nach einem Jahr wich die Angst allmählich von uns. Wir Kinder konnten wieder ungehindert überall spielen und waren stolz, wenn wir im Wald leere Patronenhülsen fanden. Vater war entsetzt, wenn ich wieder so ein Zeug mit nach Hause brachte. Ich versteckte alles heimlich im Schuppen.

Nach Kriegsende zahlte ein Metallhändler aus Nürnberg für ein Kilo dieser Messinghülsen 3,60 DM. Das war dann dennoch ein Glücksfall für unsere Familie.

1946 war ich noch Augenzeuge, als in Vilseck in der Nähe des Propst-Lagerhauses Messerschmitt-Flugzeugteile verbrannt wurden. Das war ein Riesenfeuer! 50 Jahre später fand man dort noch Sicherheitsgläser, die in den Pilotenkabinen verbaut waren.

Im Südlager wurde nach Abzug der UNRAA die Constabulary, eine Art Polizeitruppe, stationiert. Die Konstabler waren Soldaten in gehobenem Dienstrang. Sie sorgten für öffentliche Sicherheit und Ordnung und wurden später von der Militärpolizei (MP) abgelöst. Jahre danach konnte ich auf einem Flohmarkt am Ziegelanger einen extrem seltenen Bierkrug der Constabulary Regensburg erwerben, den ich noch heute zur Erinnerung an diese Zeiten aufbewahre.

Zeitzeuge Karl Platzer hält stolz den extrem seltenen Bierkrug der Constabulary Regensburg in Händen

1952 zog meine Familie dann nach Vilseck in das Bahnwärterhaus an der Schmidsäge.

Das alles ist zum Glück längst Vergangenheit, aber man darf es nicht vergessen. Hoffen wir, dass wir auch weiterhin von den Schrecken eines Krieges verschont bleiben.“