Gedanken zum Tag (23) von Pfarrer Dr. Christian Schulz
„Abgekämpfter Sieger“
Heute werfen wir also noch einmal einen gemeinsamen Blick auf Giovanni Bellinis Gemälde „Segnender Christus“ (um 1465). Die gestrige Betrachtung endete ja mit der Bitte, nochmals genauer hinzuschauen. Gewissermaßen tiefer zu sehen! Ganz bestimmt ist es Ihnen ins Auge gesprungen: Ein kleines, aber doch so bedeutsames Detail am Auferstandenen.
Der Heiland ist bekleidet. Ein Riss in seinem Gewand lässt die ihm am Kreuz zugefügte Seitenwunde erkennen. Aber wir kennen den Gekreuzigten doch eigentlich nur dürftig mit einem Lendenschurz bedeckt. Nackt und entblößt, vor aller Welt bloßgestellt im wahrsten Sinne des Wortes und gedemütigt, hing er da.
Nein, ein Gewand wie auf dem Gemälde Bellinis kann er nicht wirklich sterbend am Holz des Kreuzes - und auch nicht da er vom Speer des Soldaten durchbohrt wurde - getragen haben. Und wie hier dargestellt kann er es wirklich nicht getragen haben!
Dies wird schon allein klar, wenn man wahrnimmt: Der Riss im Gewand verläuft vertikal, die darunterliegende Brustwunde aber horizontal. Und: Kein Blut befleckt das Gewand, nicht an der Stelle des Risses und auch sonst nirgends. Giovanni Bellini war gewiss nicht unachtsam, ihm ist sicher kein Fehler unterlaufen. Er hat das Ganze vollkommen überlegt so und nicht anders komponiert, gemalt – und er wusste genau, warum!
Im Grunde bleibt kein anderer Schluss, als jener, dass der Künstler etwas Besonderes habe ausdrücken wollen: Es ist wohl Christus selbst gewesen, nach seiner Auferstehung mit einem frischen Gewand angetan, der mit seinen eigenen Händen den Riss herbeigeführt hat. Um seine Seitenwunde aller Welt sichtbar zu machen!
Auch nach seiner Auferstehung soll man IHM alles Erlebte, alles Durchlittene ansehen. Wir dürfen nicht vergessen, um welchen Preis der Sieg errungen wurde, das Leben den Tod vernichtet hat. Wir dürfen es nicht vergessen!
Und wenn wir uns noch einmal Jesu Christi Antlitz zuwenden: Sieht er nicht wirklich abgekämpft aus? Immer noch erschöpft, so, als sei er dem Tode glücklich, aber eben doch nur unter äußerster Anstrengung entronnen!
Nichts vom irdischen Leben ist vergessen, nichts beschönigt am Tod. Und doch: Alles ist hineingenommen in SEINEN Sieg – auch ich!
Passen Sie gut auf sich und aufeinander auf, behüt‘ Sie Gott und im Gebet verbunden
Ihr Pfarrer Dr. Christian Schulz
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