Vilseck: "Mein Großvater und Vater waren Totengräber"

„Mein Großvater Johann Eierer war 42 Jahre lang Totengräber in Vilseck“, erzählt Josef Eierer, besser bekannt als Nachtwächter Tschung. „Danach ging die Tätigkeit nahtlos auf meinen Vater Josef über, der leider schon 1951 im Alter von 50 Jahren verstarb“.

Tschung berichtet, wie er als Kind schon in die Sache miteinbezogen wurde und dass ihm das Ganze manchmal unheimlich war. Der Beruf des Totengräbers hatte einen faden Beigeschmack, aber doch war der Nebenverdienst für die fünfköpfige Familie lebensnotwendig.

War ein Sterbefall eingetreten, hatte Tschung im Auftrag seines Vaters die „Leichbeter“ zwecks dem Leichbitten zu verständigen. Seine Mutter Elisabeth war für Ebersbach zuständig, die Steger Nandl für Schlicht, Herr Donhauser für Vilseck, Frau Schöner für Axtheid und Frau Ziegler für Gressenwöhr und Umgebung.

Das Leichbet’n spielte sich so ab, dass die Bewohner jedes Hauses mit einem Spruch zur Beerdigung eingeladen werden mussten. Der lautete dann zum Beispiel so: D‘Frau Huber schickt mi her, Sie soll’n ihr‘m Ma am Micher um Zeahne in d’Leich göih und a poar Vaterunser bet’n!

Dafür gab es dann für die Leichbeter manchmal entweder ein Ei, ein Stück Butter, einen Ranken Brot, etwas Fallobst oder ein Schüttl Stroh, das Familie Eierer zum Einstreuen für ihre einzige Kuh und die zwei Schweine gut brauchen konnte. „Wenn es Stroh gab“, fügt Josef hinzu, „musste ich das am andern Tag mit dem Handwagen abholen“.

„Wenn der Verstorbene mit dem Bauern verwandt war, wurde extra eingeladen‘“, fügt er an. Dann hieß es: D’Frau Müller schickt mi extra her, usw. Und oft hieß es knauserig: Wos, daou waar ma af oimal verwandt? Denn beim Extra-Leichbet’n sollte man auch eine doppelte Menge hergeben, wie etwa eine Wurst von der Schlachtschüssel.

Der Totengräber hatte dann auch die Leichenträger zu informieren. Das musste der kleine Josef ebenfalls übernehmen. Er ging zum Ziegler, Kugler, Schöner, Geier, Donhauser und Hirmer. Die Särge fertigte alle der Gnan-Schreiner. Dort musste Josef den bestellten Sarg abholen und mit seinem Handwagen zum Sterbehaus bringen.

In die Dörfer wurden die Särge vom Houder Kare mit dem Pferdefuhrwerk transportiert, und Josef war natürlich als Begleiter dabei. Da begab es sich einmal, dass es unterwegs zu regnen begann und Tschung sich zu einer Art Mutprobe in den Sarg legte. Der Kare machte den Deckel drauf. Aber dort gefiel es Josef nicht lang, und er nahm lieber das Wasser von oben in Kauf.

Die Toten wurden daheim eingesargt und im Hausgang aufgebahrt. Sie starben ja auch zuhause, denn es gab noch keine Krankenhäuser. Zuvor aber musste der Ruppert-Boder die Leichenschau halten. Dabei schnitt er den Verstorbenen in die Ferse. „Wenn er daou koin Zucker dou haout, woar er wirklich daout!“ Mutter Eierer hatte für die Sargwäsche zu sorgen, die meistens mehr aus Papier als aus Stoff war, je nach Vermögenslage.

Bei einem Vilsecker fand die Aussegnung durch den Pfarrer im Haus des Verstorbenen statt. Ehe aber die Leichenträger mit dem Sarg das Haus verließen, hatten sie noch eine Zeremonie zu vollziehen. Der Tote sollte im Sarg liegend noch einmal in jedes Zimmer und jede Kammer schauen. So wurde er über jeder Türschwelle, mit dem Kopf voran, dreimal auf und nieder gesenkt und dabei ein Kreuzzeichen angedeutet.

Vater Eierer gab dazu die Kommandos: Auf mit’m Bauern! Nieder mit’m Bauern! „Einmal hat sich der Vater verzählt,“ schmunzelt Tschung „und den Sarg öfter auf und nieder heben lassen. Er hatte nämlich schon ein Bier und einen Schnaps bekommen. Und da meinte der Leichenträger Kugler: Sepp, öitz langt’s! Furt mit’m Bauern!“

Auch wurden die Hühner, Tauben und der Hund von der Magd oder den Kindern beim Verlassen des Hofes aufgescheucht, um Abschied zu nehmen.

Die Toten aus Ebersbach wurden mit dem Pferdefuhrwerk nach Vilseck gebracht und beim Weiß (Goumer) ausgesegnet, die Gressenwöhrer beim Schwandner in der Froschau und die Toten aus Sorghof und den ehemaligen Truppenübungsplatzdörfern am Propst-Eck. Sie wurden danach gleich ins Leichenhaus gebracht.

Die Hauptaufgabe des Totengräbers war jedoch, das Grab auszuschaufeln. Da es noch keine Bagger gab, war viel Muskelkraft nötig. Im Winter war es besonders schwierig. Einmal war der Boden sogar bis in 1,20 Meter Tiefe gefroren.

Von einer besonderen Begebenheit erzählt Josef Eierer gern, obwohl es eigentlich eher tragisch war. „Im Zwingerfriedhof hat es sich im Winter zugetragen, dass die Bretter, die das ausgehobene Erdreich bedeckten, von einem Blitz-Eis überzogen waren.

"Der Kugler woar schneller drin, als wöi der Daoute!“

 

Darauf ist der Leichenträger Kugler ausgerutscht und ins Grab gefallen. Und der Sarg mit dem Toten ist hinterhergerutscht. Zum Glück konnte Herr Kugler den Sarg soweit von unten anheben, dass er wieder aus der Grube steigen konnte. Das war natürlich für längere Zeit das Wirtshausgespräch schlechthin. Und immer wieder konnte man hören: "Der Kugler woar schneller drin, als wöi der Daoute!“

Während des 2. Weltkriegs musste der Totengräber auch öfter mal Nachtwache im Leichenhaus halten, und Sohn Josef war dabei. Die Mutter wollte ihren Mann wegen seines schlimmen Asthmas nicht allein dort wissen. Auch in die Sezierkammer warf Tschung mal einen verbotenen Blick, als ein ertrunkener Bub obduziert wurde. Diesen Anblick hat er bis heute nicht vergessen.

Einige Beerdigungen fanden damals bereits um 5 Uhr morgens statt, damit es für Tiefflieger nichts zu sehen gab.

Schließlich musste das Leben wieder weitergehen, und es ging weiter. Und das ist bis heute so geblieben.

War eine große Leich‘, dann ging auch die Musik mit, die selbstverständlich zum anschließenden Leichtrunk eingeladen war. Und wenn der Alkohol gesprochen hatte, wurde aus der traurigen Musik eine lustige Musik. Schließlich musste das Leben wieder weitergehen, und es ging weiter. Und das ist bis heute so geblieben.

Josef Eierer erzählt von seinem Vater und Großvater, die in Vilseck jahrzehntelang als Totengräber arbeiteten

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Allerheiligen im Vilsecker Friedhof vor mehr als 60 Jahren

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Während der Inflation 1923 war eine Totengräber-Rechnung besonders hoch. Großvater Johann Eierer stellte 11.300 Mark in Rechnung

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