Vilseck: Es war im Böhmerwald … - Flucht aus dem Sudetenland - Neue Heimat für Familie Spannbauer

75 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges verblasst allmählich das Gedenken an die Vertriebenen und Flüchtlinge aus dem Sudetenland. Doch die schlimmen Zeiten dürfen nicht vergessen werden. Die Erinnerung an das Schicksal der Sudetendeutschen soll auch der jungen Generation als Mahnung für den Frieden dienen.

Ich greife heute die Geschichte der Familie Spannbauer auf, die über mehrere Stationen  schließlich 1954 in Vilseck eine zweite Heimat fand

Gustav Spannbauer, jetzt wohnhaft in Regensburg, erzählt:

"Mein Vater, Viktor Spannbauer, wurde als viertes von neun Kindern 1905 in Böhmisch-Röhren im Sudetenland geboren. Mit Gründung der Tschechoslowakei 1919 galten auch die Deutschböhmen als Tschechen. Vater erlernte den Beruf des Wagners und heiratete 1934 Laura Breit aus Oberzassau. Die beiden bauten sich 1937 in Böhmisch-Röhren ein Haus und richteten eine Wagner-Werkstatt ein.

Nachdem sich die Berufsaussichten eines Wagners zunehmend verschlechterten, ging Vater 1939 nach dem Einmarsch der deutschen Truppen zur Deutschen Reichsbahn und musste als Reichsbahnbediensteter auch Mitglied der NSDAP werden. Das sollte ihm später zum Verhängnis werden.

Als nach Kriegsende die Amerikaner kamen, waren alle erleichtert. Doch als die US-Streitkräfte abzogen und die Russen Einzug hielten, hatten die Tschechen wieder das Sagen im Land. Wer in der Partei war, wurde als Staatsfeind eingestuft und verhaftet.

Drei Millionen Deutsche, die in Böhmen und Mähren lebten, wurden unter Androhung und Anwendung von Gewalt zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen.

Ich war gerade fünf Jahre alt und mein Bruder Heinrich zehn, als Soldaten des tschechischen Militärs eines Tages um 3.30 Uhr morgens kamen und das ganze Haus auf den Kopf stellten. Sie durchsuchten neben den Fotoalben sogar die Schulhefte meines Bruders. Um 10 Uhr nahmen sie schließlich unseren Vater ohne Angabe von Gründen mit und steckten ihn am 24. Juni 1945 in das Gefängnis in Pissek, wo er elf Monate eingesperrt blieb.

Nun war Mutter mit uns Buben allein. Sie fühlte sich in der Heimat nicht mehr sicher. Viele Nächte war sie unterwegs ins nahe Bayern, um unser Hab und Gut zu retten. Vaters Wagnerwerkzeug schaffte sie in einen Einödhof bei Philippsreut. Wir Kinder ängstigten uns sehr, wenn sie unterwegs war. Viele Ortsbewohner waren schon geflüchtet oder ins Sammellager nach Wallern oder Prachatitz gebracht worden.

Die Großeltern Spannbauer und Breit, sowie die übrigen Verwandten wurden 1946 unter menschenunwürdigen Bedingungen zwangsausgesiedelt. Nur 50 kg Gepäck durfte pro Person mitgenommen werden. Bargeld, Sparbücher, Schmuck und sonstige Wertsachen waren abzugeben.

Am 29. März 1946 schließlich wagte unsere Mutter mit uns Buben die Flucht. Auf dem acht Kilometer langen Weg hatten wir große Angst. Da der Schnee mannshoch lag, ging es recht mühsam auf einem Hörnerschlitten und auf Schleichwegen über die Grenze zu besagtem Einödhof. Die Flucht gelang. Wir waren in Bayern!

Hier aber mussten wir  enttäuscht feststellen, dass unser Habseligkeiten-Depot von deutschen Grenzbeamten und amerikanischen Soldaten geplündert worden war. Traurig zogen wir von Philippsreut nach Haidmühle/Ludwigsreuth weiter, wo eine Schwester unserer Mutter wohnte. Hier erhielten wir nach der Registrierung eine Zuzugs-Genehmigung nach Cham/Altenstadt zu einer weiteren Schwester. Da dort schon andere Verwandte eingetroffen waren, mussten sich zeitweise 25 Personen in äußerst beengten Verhältnissen vier Räume teilen.

Unser Vater wurde nach elf-monatiger Gefangenschaft am 17. Mai 1946 schließlich nach Miltenberg am Main „ausgesiedelt“. Er erzählte nie von dieser Zeit. Anscheinend kam er glimpflich davon. Nur einmal sagte er, dass ihm „der Hut mit Gewalt aufgesetzt wurde“, was immer das bedeuten mag.

Von Miltenberg aus kam Vater mit einem Gesundheitszeugnis „entlaust und frei von ansteckenden Krankheiten“ mit dem Zug nach Cham, wo wir ihm freudig um den Hals fielen. 1951 kam dann unsere Schwester Anna zur Welt. Mutter war eine sparsame Hausfrau und sorgte gut für uns, sodass wir nicht hungern mussten. Da gab es anstatt Braten eben nur Erdäpfel, Saure Milch und Kraut.

Die Hoffnung, in die alte Heimat zurückzukehren, ließ manche Not vergessen. Mutter freute sich auf die jährlichen Treffen der Böhmerwäldler auf dem Dreisesselberg. Von hier war ein tränenreicher Blick auf das mit viel Mühe erbaute Haus in Böhmisch-Röhren möglich. Doch eine Rückkehr in das geliebte Heimatdorf blieb uns leider versagt.

Vater arbeitete auf dem Bau und als Zimmermann. Mit der Anfertigung von Schlitten und Skiern verdiente er sich ein kleines Zubrot. Am 1. April 1952 wurde er bei der Bahnmeisterei Cham angestellt und bald darauf als Leitungsaufseher nach Vilseck versetzt. In Vilseck zogen wir in das neue Bahnhaus mit eigenem Bad und konnten endlich wieder ein normales Familienleben führen.

Mutter Laura genoss das gesellige Beisammensein mit ihren Landsleuten sehr. Doch leider sollte der Faschingsball der Sudetendeutschen Landsmannschaft 1959 in Schlicht ihr letzter sein. In den Armen ihres Mannes brach sie beim Walzertanz zusammen. Ein Sekunden-Tod riss sie aus dem Leben.

Vater Viktor arbeitete bis zu seiner Pensionierung bei der Deutschen Bundesbahn. Im Haus von Tochter Anna und Schwiegersohn Karlheinz Schwepper verbrachte er seinen Lebensabend. Nach einem Schlaganfall starb er 1987 im Vilsecker Krankenhaus."

Viktor Spannbauer und Laura Breit heiraten 1934

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Die kleine Familie Spannbauer war glücklich in ihrem neuen Haus in Böhmisch-Röhren. Hier hatte sich Vater Viktor eine Wagnerwerkstatt eingerichtet

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Mutter Laura, die mit ihren Kindern nach Bayern geflohen war, wurde nur 46 Jahre alt

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Weihnachten 1986: Vater Viktor Spannbauer mit seinen Kindern Gustav, Heinrich und Anni

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